Amazing Grace 1773

to be free / king of my heart / you move me round

you drive away all my fears

you soooth my sorrow / heal my wounds

I see my way lies clear

Vor 250 Jahren, für den Neujahrsgottesdienst des Jahres 1773 wurde für die Predigt in einem kleinen Ort nördlich von London eine neue Hymne geschrieben, von Reverend John Newton, einem früheren Sklavenhändler. Der Song Amazing Grace wurde später als Hymne der Bürgerrechtsbewegung und Black Lives Matter, zuletzt am Grab von George Floyd 2020 gesungen.

Was gab es außerdem neues 1773: Ludwig van Beethoven, flämischer Hofkapellmeister und Sänger am kurfürstlichen Hof zu Köln stirbt und sein Enkel, der Komponist Beethoven ist zu dieser Zeit drei Jahre alt. Wolfgang Amadeus Mozart komponiert seine Sinfonie 28 in C-Dur.

Amazing Grace, diese Sehnsuchts-Melodie mit der aufstrebenden Quarte und dem rhythmischen Auftakt am Anfang hat mich von jeher begeistert und inspiriert. Es ist so etwas wie eine Ur-Sinfonie, ganz großes Gefühlskino, perfekt komponierte Symbiose zwischen dem textlichen Ausdruck religiösen Empfindens und einer Musik, „die dich einhüllt wie ein warmer Mantel“. Sagt Rommi Smith, die das Libretto für ein neues Werk, ein sinfonische Neuvertonung von Amazing Grace, geschrieben hat.

Was bedeutet der Song, der Text, die Melodie, die Musik für mich (Daniel), Chorleiter und Arrangeur von unserer Version Amazing Grace. Was bedeutet es für unseren Chor und unser Programm „Broken Aleluja“? Als ich heute am Neujahrsmorgen in The Guardian die News über Reverend John Newton und seinen Sklavenhandel las, war ich inspiriert und dachte, das ist ein Beispiel für ein gebrochenes Aleluja. Amazing Grace. How sweet the sound. That saved and set me free. Im Original sagt der Song „Ich bin ein Wrack. Hol mich hier raus (wunderbare Gnade).“ Ich wollte mich nicht als „Wrack“ bezeichnen bzw. besingen. Denn ich hielt dies für eine negative Affirmation, oder befürchtete eine selbsterfüllende Prophezeiung. Deswegen entschied ich mich für eine andere Version That saved and set me free.

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Das Intro von unserer Version „Amazing Grace“ beginnt mit einer Invokation der verschiedener Christus-Bezeichnungen: Jesus, Retter (Heiland), Morgenstern, usw. Auch wenn wir die Gebrochenheit eines menschlichen Wracks nicht explizit besingen, so schwingt dieser Gestus des Reverends und geläuterten Sklavenhändlers John Newton mit, der die Verse geschrieben hat: Ich war einst verloren. Aber jetzt bin ich gefunden. Ich war blind, doch jetzt sehe ich.

Jesus war heil (der Heiland) aber er hat zufolge von Cohen auch etwas gebrochenes: …er war selber gebrochen lange bevor der Himmel seine Tore öffnen würde / verlassen, fast menschlich sank er auf den Boden deines Beusstseins wie ein schwerer Stein (aus: „Susanne“)

Was ist ein gebrochenes Aleluja im Sinne des Leonard Cohen? DWas bedeutet das Programm „Broken Aleluja“ für den Rixdorfer Kammerchor? Was hat Amazing Grace damit zu tun? Der geniale Songpoet hat mit seinem „Aleluja“ ebenfalls einen Über-Hit geschrieben.

David, aus dessen Stamme Jesus kam spielt auf seiner Harfe und findet spontan die Musik zum „Haleluja“. Kaum jemand weiß, dass es in dem Song um eine anrüchige Geschichte von sexueller Lust und Ehebruch geht. Hinter den einschmeichelndnen, harmonischen Klängen verbirgt sich eine Geschichte von Mord und Sühne: König David verliebt sich in Batseba, begehrt sie und verantwortet den Tod ihres Ehemanns. Trotzdem singt er weiter zum Lobpreis Gottes das „Haleluja“ als letztes Wörtlein, ihm wurden Psalmdichtungen zugeschrieben, und wird bis heute in der christlichen Kirche wie ein Heiliger verehrt.

Die Hymne „Amazing Grace“ von 1773 ist heute Pop, genau wie „Loch Lomond“, „Auld lang syne“ oder die altenglischen Melodien von „Greensleeves“ oder Scarborough Fair“ aus unserem weltlichen Programm Ist Lieb ein Feur.

Aretha Franklin wuchs in Detroit als Tochter eines berühmten Baptistenpredigers auf und erlebte ihre musikalische Sozialisation mit Gospelmusik. Nach ihrem bahnbrechendem Erfolg als Soulmusikerin mit Hits wie „Respect“ und „Natural Woman“ kehrte sie 1972 in ihre Gemeinde zurück und drehte den Film Amazing Grace. Die Aufnahmen wollte sie damals aber doch nicht veröffentlicht haben, der Film „Amazing Grace“ kam erst 2006 raus.

Zu unserem Programm „Broken Aleluja“ gehören neben Songs von Leonard Cohen auch Gospel-Hymnen wie „Amazing Grace“ auch der Bluegrass-Klassiker „I` ll fly away“. Dabei geht es um göttliche Befreiung und himmlische Erlösung und ebenfalls um die Schattenseite, die Ketten unserer Knechtschaft: O wie schön ist Panama. Keine kalten Eisenketten mehr an meinen Fussgelenken.

Gebrochenes Aleluja. Wunderbare Gnade. Ich breite meine Adlerschwingen aus und fliege hinweg. Ich komme über den Fluss, den tiefen Fluss und finde Frieden auf der anderen Seite.