Welchem Schiff bin ich ähnlich

Müssen die letzten 450 Jahre unserer Kultur- und Literaturgeschichte neu geschrieben werden?

Wir, der Rixdorfer Kammerchor arbeiten 2023 mit der Stiftung Preussischer Kulturbesitz auf Schloss Grunewald zusammen. Das Schlossmuseum Lübben hat uns in ihren Wappensaal für ein Konzert zur Museumsnacht im September eingeladen.

Die „Perle des Nordens“ unter den Renaissanceschlössern ist das Schloss Güstrow, 30km südlich von Rostock. Ich, Daniel (Chorleiter) besuche das Schloss auf einer Reise an die baltische Küste. Mittlerweile sind wir mit Leitung des Stadtmuseums und des Archivs Güstrow in der Planung für ein Konzert im Stil von „Ist Lieb ein Feuer“. Dabei entdeckten wir ein seltenes sogenanntes literarisches „Madrigal“ von einer ehemaligen Bewohnerin des Residenzschlosses in Güstrow.

Sommer 2021. Mein Sohn Dion und sind auf einem alten Segelboot Richtung Ostseeküste unterwegs. Eine Abenteuerreise, Vater und Sohn, Schiffbruch im Oderdelta. Aber das ist eine andere Geschichte.

Welchem Schiff bin ich ähnlich? schrieb die Elisabeth, junge Herzogin von Mecklenburg. Wir kennen bohrende, quälende Fragen wie diese aus einem anderen Text, „Ist Lieb ein Feur“ von Sybilla Schwarz. Sybilla und Elisabeth waren beide „Petrakisten“, Fans des italienischen Dichters Petraca. Sybilla gilt aus erste Frau in der (deutschen) Literaturgeschichte, welche den Rang einer Dichters für sich beanspruchte. Die Sonnette und Madrigale der jungen Dichterinnen sind voll antiker Götter und, aus heutiger Sicht, wenig überraschenden Metaphern.

Wieder einmal fragen wir uns, was hat die junge Herzogin, ehemals Prinzessin von Hessen-Kassel gedichtet, komponiert. Warum ist die Hälfte davon verloren gegangen. War es wertvoll? Wer hat es gelesen, gespielt?

Unser Gedicht „Gefährlicher Schiffbruch“ hat viel der Heldenreise von Papa&Söhnen auf dem baltischen Meer zu tun. Nur wer (wie Jack London) das Gefühl von Unsicherheit kennt, eines kleinen Lebens in einer großen Naturkulisse voller Gewalt, der kann die Bedrohungen von Neptun, und Aiolos, des zornigen Windgottes am eigenen Leib erfühlen.

Die Menschen der Antike wussten wissenschaftlich gesehen nicht genug über Wetterphänomene. über Gezeiten und Gestirne. Heute begeben sich Sportsegler freiwillig in die Fluten, aber früher war das Segeln und Seefahren eine gefährliche Notwendigkeit. Es gab keine elektronische Navigation und Tiefenmesser, keine Sturmwarn-Apps, und keine Seewacht. Also imaginierte man Aiolos, den Gott der Winde und seinen Vater Neptun/Poseidon mit seinem Dreizack. Man betete zu ihnen für eine glückliche Seefahrt und brachte ihnen Opfer für sichere Reisen über´`´´´’s Meer.

Schätzungsweise 3.000.000 Schiffwracks liegen heute auf dem Meeresgrund, zum Teil seit Jahrtausenden. Spätestens seit den Kitschschlagern von Hans Albers ist manche(r) solcher Klischees überdrüssig, aber vergessen wir nicht, dieser frühbarocke Text ist um die vierhundert Jahre alt, und außerdem ist das nur die google-Übersetzung:

Die verschiedenen Hoffnungen des klaren Himmels – Elisabeth von Güstrow

Welchem Schiff bin ich ähnlich das von Neptun s im feuchten Reich des wütenden Windgottes spürt die Empörung nicht

Ruhm ist anderswo zu finden und ich wandere herum, ich weiß nicht wo

Mich führen die neun himmlischen Gönner die Tränen und die Seufzer sind Wasser und Wind die verschiedenen Hoffnungen des klaren Himmels

Dass ihn die klagenden Winde da voll raustreiben

ein schwerer Schiffbruch den wir immer fürchten meine Gedanken sind das Schiff

Im Nachlass der Elibeth von Hessen/Güstrow fanden sich auch einige Gedichte in unserer Sprache, aber vorzugsweise dichtete sie auf italienisch. Klingt auch besser, eigentlich?

Naufragio pericoloso (Gefährlicher Schiffbruch)

simile son a qual nave

che di nettuno nel humido regno
del furioso eolo provia lo sdegno

non dove auol gianger la fama attrove Et io girando d’`íntornonvo non so dove

Amor mi guida della mia nove cielo patrono Le lagrime, et i sospiri agua, et vento mi sono

Le vare speranze il ciclo sereno Che dal vento de sospiri caccialo c’a pieno

Talche hamo sempre a temer nanfragio grave i miei duri pensieri che sono la nave

Reimt sich besser. Es ist mühsam, diesen Text aus dem (alt-)italienischen zu übersetzen. Aber ich bin mit der deutschen Version ziemlich zufrieden. Die Erfahrungen, welche ich mit dem Segelboot auf dem Stettiner Haff und der Ostsee gemacht habe, spiegeln sich ganz gut in diesem Gedicht. Übrigens, diese Textgattung „Madrigal“, das ist eigentlich ein Begriff für ein polyphones Chorwerk, z.B. April ist in my mistress face.

So habe ich eigentlich nur noch zwei Dinge hinzuzufügen, den Link zu unserem Video „April is in my mistress face“, gefilmt im Kreuzgang des Klosters Lehnin.

So habe ich eigentlich nur noch zwei Dinge hinzuzufügen, den Link zu unserem Video „April is in my mistress face“, gefilmt im Kreugang des Klosters Lehnin.

(geflimt während unserer Chorfahrt 2022)

Und schließlich, zwei Zitate aus einem Buch von Jack London. Ich habe meine Erlebnisse während unserer großen Segelreise 2021 mit dem Reisebericht des großen Abenteuer Schriftstellers verwoben. Auch er hatte ein ziemlich reparaturbedürftiges Schiff (obwohl dieses gerade aus der Werft kam) und hat seinen Riesenrespekt vor den Naturgewalten, Wind und Wellen literarisch formuliert:

„Hier ist die heftige Lebenswelt. Und die Mühseligkeit, sich hier anzupassen ist die Errungenschaft dessen, was mich, diese kleine zitternde Eitelkeit, entzückt. Ich möchte. So bin ich gemacht. Es ist meine eigene, besondere Art von Eitelkeit, das ist alles.“

„Fehlbar und hinfällig, ein bisschen pulsierendes Leben mit Beinen wie Pudding, mehr bin ich nicht. Um mich herum sind die großen Naturgewalten – kollosale Bedrohungen. Titanen der Zerstörung, empfindungslose Ungeheuer, die sich weniger um mich sorgen als ich mich um die Sandkörner, die ich unter meinen Füßen zerdrücke“