Die Wiedergeburt der Poesie, 1560-1960

Wir befinden uns auf Schloss Holyrood in Edinburgh, wo sich die neunzehnjährige schottische Königin mit ihren Hofdamen bei Tanz und Gesang vergügt. Aus Paris hat Maria Stuart schöne Wandteppiche, Schmuck und den talentierten jungen Troubadour Pierre de Chastelard mitgebracht. Pierre empfand eine verrückte Leidenschaft für Maria und konnte nicht von ihr ablassen, bis er schließlich hingerichtet wurde.

Maria war erst Königin von Frankreich und dann von Schottland. Sie war die Muse von Ronsard und Du Bellay, ebenfalls Poetin und schrieb französische Sonette:

Car c`est le seul desir de vorte cher amie, De vous servir, & loyalement aimer, Et tous malheur moins que rien estimer

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Maria war zuerst an einem Mordkomplott gegen ihren Gatten beteiligt (sie hatte sich in einen anderen Mann verliebt) und schließlich an eine Verschwörung gegen Königin Elisabeth von England. So musste sie ebenfalls auf das Schafott. Drei Hiebe brauchte der Henker, bis endlich …

Es waren blutige Zeiten, Liebe, Verrat und Todessehnsucht, ein Stoff für Dramen und Legenden. Die höfischen Narren und Possenreißer, die Gelehrten und Poeten, Dichter und Denker lebten in der Sphäre der adeligen Herrscher und waren doch durch die Stände getrennt, aßen mit dem Gesinde.

Die englischen Barden, das keltische Erbe, die deutschen Minnesänger, die französische Eleganz und graziöse Tanzkunst und natürlich die italienische dolce vita… All diese vielfältigen und sich gegenseitig inspirierenden entwickelten sich langsam zu einer europäischen Musiksprache. Nicht zu vergessen die flämisch-niederländische Musiktradition und die maurischen Einflüsse in Spanien.

England entwicklete sich unter Queen Elisabeth zum Weltreich, französisch war die europäische Hofsprache. Die Blütezeit der deutschen Sinfoniker und Musikdramen war später, von Bach bis Bruckner. Aber es trotzdem ein unendlicher, untrennbarer Strom von 1560 bis heute, nur eine kleine, unmittelbare Geste.

Die Lebenswege von Maria Stuart, John Dowland und Heinrich Schütz bewegen uns, denn sie hatten abenteuerliche Lebenswege. Sie haben Großes bewirkt, sehnsüchtige, tiefgründige Werke und Geschichten voller Poesie geschaffen und ein uns ein legendäres Vermächnis hinterlassen.

Wir singen die Chansons der französischen Renaissance, englische Songs von John Dowland und Thomas Morley und auch deutsche Choräle aus der Zeit und begeben uns auf einer musikalische Entdeckungsreise durch Raum und Zeit.

Das elisabethanische England erlebt mit Shakespeare und seinem Globe Theater in London einen kulturelle Blütezeit. Um 1600 wurde in Italien als Wiedergeburt des antiken Dramas die Oper erfunden. Die Renaissance als Kunst- und Musikgattung hat die Musikkultur in Mitteleuropa bis 1700 stark beeinflusst.

Die schwebende, leichte Stimmung in der Musik der frühen Neuzeit reflektiert Einflüsse aus verschiedenen europäischen Ländern. Der Troubadour als Einheit von Poet, Komponist, Musiker und Sänger verkörpert eine ähnliche lyrische Haltung wie der mittelalterliche Minnesänger oder die Singer/Songwriter seit den 60ern.

Später wurde mit der sinfonischen Musik die europäische Musikkultur, vielfältiger, komplexer und differenzierter. Bach, Mozart und Mendelssohn schufen Meisterwerke von epischen Ausmaßen. Die zarte Blüte des Renaissance-Gesangs verzaubert hingegen durch seine anmutige Schlichtheit.

Der Ton war ein lebendig-beseelter, oft etwas übersteigerter Ausdruck von Empfindsamkeit. Die Harmonien, Akkordfolgen und Rhythmen lassen sich eher mit heutigem Klezmer und Folkmusik in Verbindung bringen als mit klassischer Orchestermusik.

Sting hat ein Konzeptalbum mit den Songs und über den Komponisten John Dowland aufgenommen , „Songs from the Labyrinth“. Seine Songs lässt sich auch ohne klassisch geschulte Stimme singen. Konzept, Struktur und Atmosphäre einer akustischen Popballade ist ähnlich den Madrigalen von John Dowland und anderen Meistern der Renaissance.

Bob Dylan und Leonard Cohen, die beiden Folk-Barden aus dem Greenwich Village, haben zwischen New York City und Nashville einen Haufen von Songs aufgenommen, die in ihrer Schlichtheit und Einfachheit mindestens so genial sind wie „Yesterday“ von den Beatles, aber sie hatten nicht die Stimmen dazu.

Nur im Duett mit Johny Cash, bei einer einzigen Nashville-Platte, versuchte Dylan mal „schön“ zu singen, ohne seinen typisch höhnischen, näselnden Unterton.

Warum zum Kuckuck muss man sich zwischen Renaissance, Klassik, Pop und Folk-Poesie als Künstler überhaupt positionieren, sich für eine Genre entscheiden? Mich interessieren gerade die Parallelen zwischen 1560-1960. Die Renaissance war eine Zeit des Aufbruchs. Griechische Götter und antikes Drama beflügelten die Poeten und Troubadoure.

In den 1960er Jahren war es die Revolte der Bürgerrechtsbewegung, die Generation von Love&Peace. Give peace a chance, sangen John &Yoko. Während die Beatles in den Abbey Road Studios die Klangfarben jeglicher technischen und orchstraler Möglichkeiten ausloteten, sangen Bobby und Johnny in Nashville reduziert und minialistisch ihre Songs zur Akustik-Gitarre.

Wir singen mit dem Rixdorfer Kammerchor, Gospel, Folk Pop und eben auch Renaissance. Wie sollten unsere Stimmen dabei klingen? Höre auf die Songs, auf die Wörter, was wollen diese dir flüstern? Was ist ihre dringliche Botschaft, die du ausdrücken möchtest?

„Amazing Grace“, „Aleljua“, „April is in my mistress face“ – let us sound natural, let the music and your feeling guide your voice, try not to sound like somebody else.