Die Beschwörung des Blues

Zum Gesangstil von Aretha Franklin, Billie Holiday & Co.

Ich schreibe diesen Blog anlässlich des Frauentages 2021, , um die Ladys des Blues & Jazz als meine Quelle der Inspiration und Musik-Leidenschaft zu würdigen und zu ehren.

Wir proben mit dem Rixdorfer Kammerchor seit einem Jahr an „Amazing Grace“ von Aretha Franklin. Was heißt „von Aretha Franklin“? Der Song ist von 1850, der Text noch älter.

ARETHA FRANKLIN

Sie sang im Gospelchor ihres Vaters, der ein Prediger war. Wie Whoopi Goldberg wechselte vom religiösen Gesang in die Unterhaltungsbranche, nur umgekehrt.

Whoopi Goldberg als Chorleiterin im FIlm „Sister Act“

Aretha spielte im legendären Film „Blues Brothers“ mit u.a. James Brown und Ray Charles. Sie hatte viele Hits darunter „Respect“ und „Natural Woman“. Sie war einer der größten Stars der Plattenfirma MOTOWN, eine Hitfabrik für schwarze Popmusik aus Detroit (dort waren auch M. Jackson und seine Brüder unter Vertrag).

1971, nach 11 Nummer Eins-Hits in Folge, entschloss sich Aretha ein Gospel-Album zu machen. Es wurde ihr meistverkauftes Album. Aretha sang ihre Songs wie eine „Natural Woman“, mit ihrer ganzen Seele und Hingabe. Egal ob es um die Liebe zu einem Mann oder zu Gott geht – die Dringlichkeit, miot der sie den Blues beschwört hat etwas inniges, wodurch sich ihre persönliche Identität als Frau und als Schwarze definiert.

Natural Women: Diese Ladys singen den Blues gemeinsam

Was bedeutet es eigentlich, den Blues zu singen, wie eine „natürlich Frau“? Blues ist mehr als nur ein historischer Musikstil, es ist die Urklage des schwarzen, unterdrückten Menschen, der innige Ausdruck eines Schrei nach Freiheit. Dieses Idiom wurde von immer mehr weißen Sängerinnen übernommen.

Carole King, die Songwriterin von „Natural Woman“ ist nicht nur eine wunderbare Musikerin und Sängerin, sie hat auch Songs geschrieben, die dem Befreiungsgeist der 60er entsprachen: Befreiung von Ungerechtigkeit, sexuelle Befreiung, Befreiung von Rassismus.

Aretha Franklin war eine Kämpferin für Emanzipation, für Frauen-Power, eine Ikone der Bürgerrechts-Bewegung (heute müsste es Bürger:Innenrechtsbewegung heißen:), gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit. Heute zeigen #MeToo und Black Lifes Matter, dass dieses Problem in unserer Menschheit noch nicht gelöst ist.

In der Musik gibt es keine Grenzen. Wir überwinden Nationalitäten, unterschiedliche Hautfarben und Geschlechterrollen, ich kann mich heute auch als Mann mit „Natural Woman“ identifizieren solidarisieren und ayls Weißer den Blues singen. Der Ursprung dieser Befreiung (auch Befreiung für unsere Stimme!) liegt in den 60ern und früher, eine ganze Armada von schwarzen Amerikanerinnen hat dafür gekämpft.

Die rebellische Kraft gegen Unterdrückung und Unfreiheit war die Klangfarbe in der Stimme des schwarzen Amerika. Ohne Frauen wie Aretha Franklin, aber auch früher Nina Simone und Billie Holiday – würde es vielleicht heute auch keine Kamilla Harris geben. Eine welt ohne Musik ist ebenso unvorstellbar wie ohne den Genius eines Beethoven.

NINA SIMONE – Love me or leave

Das Bach-Solo ihres Songs verwendet mehrstimmige Fugen-Technik

Wenn Nina soliert auf dem Piano, spielen ihre flinken, geschickten Hände mehrstimmige polyphone Fugenphrasen, die im Stil an Johann Sebastian Bach erinnern. Vielleicht war es ein Glück, dass sie nicht klassische Konzertpianistin werden durfte. Am Musikkonservatorium wurde sie wegen ihrer schwarzen Hautfarbe nicht aufgenommen (so steht es in ihrer Biografie).

So gönnte sie dem Jazz eine klassische Komponente. Und das macht Grenzgänger wie uns ganz besonders aufmerksam und dankbar, wenn jemand wie Nina etwas ganz selbstverständlich tut, was die Musikschubladen Pop/Jazz/Klassik durcheinanderwirbelt.

Nina setzte sich noch deutlicher als Aretha für die amerikanische Bürgerrechtsbewegung ein, sie schrieb mehr Songs und hatte mehr unglückliche Affären. Im letzteren erinnert sie an die große Billie Holiday, die sich selber als „komische Frucht“ (Song: Strange Fruit) bezeichnete. Als jemand, der nirgendwo reinpasst, nirgens hingehört, auch nicht in eine glückliche Liebesbeziehung.

BILLIE HOLIDAY – Die Wurzeln des Jazz

Legendäres New Orleans Session von Bilie Holiday und Luis Armstrong

Billie Holiday war für mich eine der größten Inspirationen, vor allem ihre Aufnahmen mit dem Pianisten Teddy Wilson und seiner Band. Deshalb bin ich Swing-Musiker geworden. Ich habe zwanzig Jahre lang die Melodiebögen von Billie und Teddy nachgespurt und war gefühlsmäßig mit dem alten Jazz unterwegs. Stephan Richter schreibt hierzu: (…) in Wahrheit lebten in Holidays Liedern nicht die Komponisten auf, sondern ihre Stimme, ihre Persönlichkeit, die jedes Wort zu ihrem eigenen macht, jede Textzeile in ihrem Sinn neu schreibt.[14]

Die Klangfarbe von Billies Stimme empfinde ich als herzzerreißend traurig, melancholisch und dabei gleichzeitig tröstend und es spendet Zuversicht. Teddy und seine Band spielen dazu Kaskaden von perlenden KLangjuwelen und es ensteht eine dichte, fesselnde Intensität. Ich fühle mich mit dieser Musik verzaubert, wie von einem Vodoo-Bann besessen, jedoch auf eine leichte, beschwingte Art.

Biliie Holiday singt mit Teddy Wilson 1936

Billie sang mit einer gewissen Intensität, mit einem beschwörenden, manchmal sehnsüchtigen, manchmal verzweifelten Timbre. Sie kam aus prekären Verhätnissen und hatte Person etwas zerbrechliches, unkontrolliertes, ähnlich wie spätere Blues-Diven, Amy Whinehouse, Janis Joplin.

Billie Holiday starb 1959 an einer Leberzirrhose, sie soff sich buchstäblich zu Tode, doch durch Musik bleibt sie ewig und unvergänglich.